Reichthaler Ländchen: Vergessenes Stück Schlesiens

Kleiner Teil Schlesiens liegt heute in der Wojewodschaft Großpolen 

Nach dem ersten Weltkrieg wurde es ohne Volksabstimmung von Deutschland losgelöst und an Polen angeschlossen.

Das größte von ihnen war mit 84 km² die Gegend um die Kleinstadt Reichthal/ Rychtal, die bis 1920 einen Teil des deutschen Kreises Namslau/ Namysłów darstellte. Im Rahmen der Versailler Konferenz gelang es der polnischen Delegation, die Vertreter der Siegermächte davon zu überzeugen, dass 4.500 Einwohner dieses Landstrichs polnisch seien und zum polnischen Staat gehören möchten. Tatsächlich sprachen dort die meisten Menschen eine regionale Variante des Polnischen als Muttersprache, doch eine polnische Gesinnung hatten sie nicht. So wie eine nicht geringe Gruppe der slawischsprachigen Oberschlesier fühlten sich auch die Reichthaler trotz ihrer Umgangssprache deutsch und identifizierten sich eindeutig mit Preußen und dem Deutschen Reich. Da ein offizielles Plebiszit nicht durchgeführt werden durfte, wurde im November 1919 eine völkerrechtlich nicht anerkannte Abstimmung veranstaltet. Diese ergab, dass sich 93 Prozent der Einwohner einen Verbleib bei Deutschland wünschten.

Protestkundgebung am Reichthaler Ring 1919. Quelle: Schlesiens Grenze im Bild, H. Rogmann, Schlesische Digitalbibliothek www.sbc.org.pl.

Weder dieses Ergebnis noch die Proteste der lokalen Bevölkerung beeinflussten die in Versailles getroffene Entscheidung. Am 19. Januar 1920 übernahm die polnische Verwaltung das Reichthaler Ländchen. Fortan stellte das Gebiet einen peripheren Teil des großpolnischen Kreises Kempen/Kępno in der Wojewodschaft Posen/Poznań dar. Durch die neue Grenzziehung wurden die seit Jahrhunderten bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen in Richtung Namslau und Breslau/Wrocław gekappt, wodurch die Gegend in der Zwischenkriegszeit stark litt. Eine Folge dieser Entwicklung war letztendlich der Verlust des Stadtrechts durch Reichthal 1934.

Infotafel und Grenzstein an der ehemaligen deutsch-polnischen Grenze im Reichthaler Ländchen. Foto: Dawid Smolorz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Großteil der einheimischen Bevölkerung aufgrund seiner deutschen Gesinnung ausgewiesen. Durch Polen aus den zentralen Regionen des Landes und aus den sowjetisch gewordenen Ostgebieten neu besiedelt verlor der Landstrich weitgehend ihre Eigenart, die in einem Zusammenklang zwischen der slawischen Muttersprache und der deutschen Gesinnung bestand. Die Kenntnis über die besondere Geschichte dieser Gegend und auch über den Umstand, dass sie historisch zu Schlesien gehört, ist unter den heutigen Einwohnern kaum vorhanden. Wohl deshalb wurde der Raum Reichthal im Rahmen der 1999 durchgeführten letzten Verwaltungsreform weder an die Wojewodschaft Niederschlesien noch an die oberschlesische Wojewodschaft Oppeln, sondern an die von Posen aus regierte Wojewodschaft Großpolen angeschlossen. 

Der Ring in Reichthal. Quelle: Sławomir Milejski, wikimedia commons.

Text: Dawid Smolorz