Vergessene Schlesier im Banat

In der heute zwischen Rumänien, Serbien und Ungarn aufgeteilten Region Banat lebt auch eine kleine schlesische Gemeinschaft

Ausgewandert sind die Schlesier im 19. Jahrhundert aus den Beskiden.

Mitte des 19. Jahrhunderts beschlossen einige Dutzend Familien aus dem damals im Norden des Habsburgerreiches gelegenen Teschener Land, vor allem aus dem Ort Weichsel (Wisła) und seiner Umgebung, ihr Glück im Süden der Monarchie zu suchen. Neue Heimat fanden die polnischsprachigen Protestanten in Sankt Nikolaus an der Theiß, einem früher wie jetzt mehrheitlich von Ungarn bewohnten Banater Dorf, das heute amtlich Ostojićevo heißt und im serbischen Teil der Region liegt. Da es die schlesischen Auswanderer in eine von Katholiken und Orthodoxen dominierte Gegend verschlug, stellte der lutherische Glaube das wichtigste Identitätsmerkmal dar.

Ortsmitte von Ostojićevo mit orthodoxer Kirche. Quelle: Vladimir Bajić, Facebook-Account Mesna zajednica Ostojićevo.
Die Toots und ihre Identität 

Eine nationale Identität hatten die ersten Siedler freilich nicht. Um sich von anderen Gruppen abzugrenzen, nannten sie sich (und sie tun das bis heute) „Toutowi“, was man im Deutschen mit dem nichts sagenden Wort „die Toots“ ausdrücken könnte. Diese Bezeichnung verdanken die Banater Schlesier ihren ungarischen Nachbarn, die mit dem Wort „Tóth“ früher Slawen bezeichneten.

Einen Bezug zu Polen hatten die Auswanderer lange nicht, weil sie nach ihrem Verständnis nicht aus Polen, sondern aus dem österreichischen Kronland Schlesien stammten. Im Laufe der Jahrzehnte brach der Kontakt nach Weichsel nicht zuletzt deshalb ab, weil seit dem Ende des Ersten Weltkrieges mehrere Grenzen die alte und die neue Heimat der Toots voneinander trennen. Seit dem Zerfall Österreich-Ungarns gehörte doch die alte Heimat zu Polen, die neue wiederum zu Jugoslawien.

Die Nachkommen der schlesischen Siedler lebten jahrzehntelang in einer sprachlichen Isolation. Aufgrund der engen linguistischen Verwandtschaft mit den Slowaken, die im Banat eine relativ starke Gruppe bilden und ebenfalls der protestantischen Kirche angehören, wurden sie früher oft zu dieser Gemeinschaft gezählt. Intensivere Kontakte zwischen den Einwohnern von Ostojićevo und Polen gibt es erst seit dem frühen 21. Jahrhundert. Im Jahr 2008 schließen sogar die Stadt Weichsel und die Banater Gemeinde einen Partnerschaftsvertrag ab, dem gegenseitige Besuche und Jugendaustausche folgten. Diese Kontakte wie auch die Aktivtäten der polnischen Botschaft in Belgrad trugen dazu bei, dass sich ein Teil der Banater Schlesier heute als Polen bezeichnet. Dabei war die polnische Identität unter den Toots noch vor zwei Jahrzehnten überhaupt kein Thema.

Tanz- und Gesanggruppe „Wiślanie z Ostojićeva“ (Die Weichseler aus Ostojićevo). Quelle: Facebook-Account Wiślanie z Ostojićeva.

Heute leben in dem knapp 2.000 Einwohner zählenden Ostojićevo ca. 200 Menschen mit protestantischem Glauben. Für die meisten von ihnen ist der altertümliche polnisch-schlesische Dialekt aus den Beskiden die Muttersprache (oder eine der Muttersprachen). Wie viele Banater sind auch die Nachkommen der Siedler aus dem Norden mehrsprachig und beherrschen außer dem von ihren Vorfahren aus der Heimat mitgebrachten Dialekt und der serbischen Staatssprache auch das Ungarische, das in dieser Gegend von einem großen Teil der Bevölkerung gesprochen wird.

Zweisprachiges, serbisch-ungarisches Ortsschild. Die serbische Variante wird in kyrillischer und lateinischer Schrift wiedergegeben. Quelle: Facebook-Account Ostojićevo.

Text: Dawid Smolorz