„Mein Pinsel war das Graveurzeug“. Zum 80. Geburtstag von Stanisław Borowski

Stanisław Borowski hat sich mit Glaskunst weltweit einen Namen gemacht

Sein Glasstudio, die einzige private Glasmanufaktur dieser Art in Polen, produziert in zweiter Generation in Niederschlesien.

In Tomaszów Bolesławiecki (Thomaswaldau) östlich von Bolesławiec (Bunzlau) hat die Familie Borowski einen besonderen Ort geschaffen. Die Glashütte Studio Borowski, eine Glasmanufaktur für mundgeblasenes und handgefertigtes Glas, wird seit Jahren von Paweł, Wiktor und Stani Jan Borowski, den Söhnen des Glaskünstlers Stanisław Borowski, geführt. Der Nestor der Familie wird heute 80 und blickt auf ein bewegtes Leben zurück.

Stanisław Borowski, Fot. Magdalena Borowski

Stanisław Borowski kommt am 28. August 1944 in Moutiers in Frankreich zur Welt, wohin sein Vater zwischen den Kriegen als Arbeitsemigrant gelangte. Dem Ruf der Aufbaupropaganda der Volksrepublik Polen folgend, kehrt die Familie Ende der 1940er Jahre nach Polen zurück. Nach einem Zwischenstopp bei Bolesławiec (Bunzlau) ziehen die Borowskis nach Ostpolen weiter, zu den Wurzeln der Familie in der Nähe von Krosno. Hier absolviert Borowski eine Ausbildung zum Mechaniker. Sein erstes Geld verdient er allerdings mit Musik – als Schlagzeuger.

Glaskunst in der Garage

Als er durch Zufall die Glashütte in Krosno von innen sieht, ist jedoch die Entscheidung fürs Leben getroffen. In dieser Hütte lässt er sich als Glasschleifer anstellen, um später sämtliche Produktionsbereiche zu durchlaufen und so die verschiedenen Möglichkeiten der Glasgestaltung kennenzulernen. Sein künstlerischer Anspruch kann sich hier aber nicht entfalten. Dafür baut er sich heimlich seine Werkstatt in der Garage seiner Tante auf. Als Autodidakt, ohne Diplom einer Kunstakademie, scheint der freiberufliche Weg beinahe unmöglich.

Mitte der 1970er Jahre wagt er ihn trotzdem. „Ich hatte es satt, für jemanden zu arbeiten, immer wieder künstlerische Kompromisse einzugehen und vor allem die kommunistischen Oberhäupter in Glasvasen zu porträtieren.“ Ende der 1970er Jahre schafft er es, in Westdeutschland auszustellen, 1980 im Rahmen der „Glaskunst zur Documenta 7“, der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst. Als 1981 die Kunstzeitschrift „Neues Glas“ einen Wettbewerb für die 100 interessantesten Glaskunstobjekte des Jahres ausruft, schickt Stanisław Borowski ein Schwarz-Weiß-Foto seiner Arbeiten ein und schafft es in die Top-Hundert. Bis heute gilt Borowski als einer der großen Namen in der europäischen Studioglasbewegung der späten 1970er Jahre.

1981: Flucht nach Deutschland

Ende 1981 wird in Polen der Kriegszustand verhängt. Als Nicht-Parteimitglied, kurz nach einem Auslandsaufenthalt, steht Borowski auf der Liste der „Verdächtigen“. Gewarnt durch einen Freund packt er schnell die wichtigsten Sachen, lässt seine Frau und Kinder zurück und flieht nach Deutschland. Hier nutzt er die bereits geknüpften Kontakte und findet in Rheinbach bei Bonn einen dankbaren Zufluchtsort. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich hier aus dem Sudetenland vertriebene Glasveredler an, mehrere Glasfachbetriebe aus Böhmen ließen sich in der Stadt nieder. „Ich hatte Glück, die Stadt profilierte sich stark als Glasstadt und bemühte sich um gute Glaskünstler.“ Borowski holt seine Familie nach und bleibt in Deutschland.

Schnell wird er hierzulande und auch international bekannt. Er weiß, was er will, und seine außergewöhnlichen Gravuren und Skulpturen finden schnell Aufmerksamkeit. Es folgen Ausstellungen in Deutschland – Kassel, Hamburg, Düsseldorf – sowie in den USA, den Niederlanden und in Japan. Den Durchbruch in Übersee verschafft eine Veröffentlichung zu Borowski in der Revue des Corning Museum of Glas aus New York, der größten Glassammlung der Welt. Borowski wird mit Einladungen überschüttet. 1985 präsentiert er seine Arbeiten erstmalig in den USA und wird gefeiert. Seitdem stellt er regelmäßig in prestigeträchtigen amerikanischen Galerien und Museen aus. Selbst aus dem Weißen Haus bekommt er Aufträge.

Seine Objekte finden Einzug in die Privatsammlungen und Dauerausstellungen vieler Museen weltweit. Seine Unikate erzielen höchste Preise und die Sammler stehen Schlange. 1990 gründet Stanisław Borowski gemeinsam mit seinen Söhnen Wiktor und Paweł in Hennef bei Bonn das Glasstudio Borowski GmbH. Angesichts des durchschlagenden Erfolges erweist sich jedoch das Studio schon nach kurzer Zeit als zu klein.

1992: Rückkehr nach Polen. Glasstudio Borowski wird nach Niederschlesien verlegt

Direkt nach der Wende besucht er seine Verwandten in Polen. Auf Fahrten zu Familienbesuchen sieht er immer wieder eine heruntergekommene Scheune in Tomaszów Bolesławiecki, neun Kilometer östlich von Bunzlau. Einmal hält er an und beschließt, den Bau samt vier Hektar Land zu erwerben. Nach umfangreicher Sanierung verlegt er 1992 den Familiensitz und sein Glasstudio an diesen Ort, ein Jahr später übergibt er die Führung an die Söhne.

Das Glasstudio Borowski ist bis heute die einzige private Kunstglashütte in Polen, eine der wenigen in Europa und vielleicht eine von 20 weltweit. Hier entstehen einzigartige Kunstobjekte von den Söhnen Paweł und Stani Jan. Nicht nur Unikate, sondern auch Serien, die das wirtschaftliche Überleben des Familienunternehmens mit einem Duzend Mitarbeitern sichern. Um den Vertrieb kümmert sich der Sohn Wiktor, der in Deutschland geblieben ist.

Stanisław Borowski mit der Ehrendoktorurkunde, verliehen 2011 von der Breslauer Kunstakademie

Borowskis Glaskunst ist bekannt in der Welt, am meisten in Westeuropa und den USA – am wenigsten wohl immer noch in seiner Heimat. Erst kürzlich öffnete eine Galerie in Wrocław (Breslau). Stanisław Borowski genießt seinen internationalen Ruf, bleibt aber sachlich. „Das war keine Explosion, kein glücklicher Zufall. Für diesen Erfolg habe ich viele Jahre hart gearbeitet.“ Heute kaufen seine Kinder frühere Arbeiten zurück – wenn es geht. 2011 wurde ihm an der Kunstakademie in Wrocław die Ehrendoktorwürde verliehen.

Stacheldraht im Glas

Seine ersten Arbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren sind geprägt von der damaligen historischen und politischen Situation Polens. Seine gravierten Skulpturen und Gefäße, die stilistisch dem magischen Realismus zugeordnet werden, setzen sich mit den politischen Themen seiner Zeit und der menschlichen Existenz auseinander.

Im bedrohlich rubinroten Glas wimmelt es von Dämonen. Stacheldraht verbindet – oder teilt? – zwei Bestandteile eines Objektes. „Es ist viel Zeitgeschehen in diesen Arbeiten, viel Politik, Gesichter des öffentlichen Lebens, lesbar für diejenigen, die die Geschichte kennen“, so der Künstler. Borowskis Arbeiten sind reich an Zitaten aus Mythologie, Literatur und Zeitgeschichte. Surrealistische, oft Schrecken einflößende Fantasiegestalten bevölkern seine Objekte. „Ich weiß nicht, woher sie kommen, sie sitzen einfach tief in mir, wohl auch in jedem Menschen. Manchmal wachte ich mit einem Bild im Kopf auf und zeichnete es schnell, um die Idee nicht zu vergessen.“ Dann setzte er sich ans Glas.

Borowski ist Meister der Überfanggravur – gewesen und für viele geblieben, auch nach dem durch seine Augenschwäche bedingten Abschied aus dem aktiven Kunstschaffen. Die Überfanggravur ist eine mühsame und höchste Präzision erfordernde Technik. In der jüngeren Künstlergeneration ist Marcin Zieliński der wohl einzige Glaskünstler polenweit, der sie erfolgreich anwendet. Zuerst wird ein Grundglas mit ein- oder mehrfarbigen Farbglasschichten überzogen. Dann werden die Farbschichten mit einer Schleifmaschine entsprechend einer zugrundeliegenden Zeichnung vom Grundglas abtragen. Die Tiefe des Bildes entsteht durch die unterschiedliche Dicke der verbleibenden Farbschicht. Man hat den Eindruck, Borowski konnte auf diesem Wege viel mehr im Glas „malen“ als mancher Maler auf der Leinwand. Seine Porträts sind lebendig, seine Bilder durch die Wirkung des Lichts in den eingravierten Formen intensiver und tiefer als dies auf flachem Untergrund möglich wäre. Malerei war für Borowski nie eine Alternative. „Ich konnte stunden- und nächtelang am Glas sitzen, an der Leinwand wurde ich schnell gelangweilt. Ich habe zwar einige Bilder verbrochen. Es war aber nichts für mich. Mein Pinsel war das Graveurzeug.“

Text: Agnieszka Bormann
Bilder: www.borowskistudio.pl, https://borowski-glas.de/

Auswahl an Glasobjekten von Stanisław Borowski: