Am 3. September 1922 entschieden Oberschlesier in einer Abstimmung über ihren politischen Status innerhalb des Deutschen Reiches
Preußische Provinz Oberschlesien oder autonomes Oberschlesien als separates Land?
Vor 102 Jahren gingen die Einwohner des im Deutschen Reich verbliebenen Teils Oberschlesiens erneut zu den Urnen. Diesmal jedoch nicht, um wie ein Jahr zuvor über die staatliche Zugehörigkeit ihrer Heimatregion zu entscheiden, sondern um sich zur eventuellen Loslösung vom Freistaat Preußen und zur Bildung eines getrennten Landes im Rahmen des Deutschen Reiches zu äußern.
Bereits im Juli 1920, also ein knappes Jahr vor der „großen“ Volksabstimmung, räumte der Warschauer Sejm jenen oberschlesischen Gebieten, die dem polnischen Staat zugesprochen würden, einen autonomen Status ein. Damit wollte das polnische Parlament mehr als die preußische Regierung bieten, die 1919 den Regierungsbezirk Oppeln zur Provinz Oberschlesien erhoben hatte. Auf Warschaus Versprechen reagierte Berlin mit der Erklärung, die Einwohner des (deutsch verbliebenen) Teiles der Provinz würden entscheiden dürfen, ob sie bei Preußen verbleiben oder in einem separaten Land (Bundesstaat) des Reiches leben möchten. Die Autonomie für die Region war wohlgemerkt kein neuer Gedanke. Bereits vor dem Ende des Ersten Weltkrieges sah die von Carl Ulitzka geleitete katholische Zentrumspartei, die stärkste politische Gruppierung Oberschlesiens, darin eine vernünftige Lösung für den ethnisch uneinheitlichen Landstrich.
Die Abstimmung über die Bildung des separaten Landes Oberschlesien fand in der von Oppeln (Opole) aus verwalteten preußischen Provinz am 3. September 1922 statt – knapp drei Monate nach der Teilung der Region, in deren Folge das östliche Oberschlesien polnisch wurde. Das Ergebnis fiel mehr als eindeutig aus. Von den insgesamt etwa 560.000 Beteiligten sprachen sich 91,1 Prozent für den Verbleib der Region im Freistaat Preußen aus. Nur 8,9 Prozent wünschten sich ein autonomes Land. In den kreisfreien Städten Beuthen (Bytom), Gleiwitz (Gliwice), Neisse (Nysa), Ratibor (Racibórz) und Oppeln belief sich die Unterstützung für den bisherigen Status quo auf 93 bis 97 Prozent. Etwas anders gestaltete sich das Ergebnis in einigen Landkreisen. In dem Restkreis Tarnowitz (Tarnowskie Góry) stimmten beispielsweise etwa 40 Prozent der Wähler für die Autonomie. Dies wünschten sich auch 15 bis 17 Prozent der Einwohner der Kreise Cosel (Koźle) und Hindenburg (Zabrze) sowie des Landkreises Oppeln. Die Wahlbeteiligung betrug 74 Prozent.
Als entscheidend für den Erfolg der „preußischen Option“ erwies sich das Verhalten der Zentrumspartei. Obwohl sie sich anfangs für ein autonomes Oberschlesien aussprach, wechselte sie kurz vor der Abstimmung die Fronten und rief zum Verbleib bei Preußen auf. Nicht ohne Einfluss auf diese Entscheidung war die Befürchtung, dass sich in einer autonomen Region die Zentrifugaltendenzen verstärken würden, und die Überzeugung, als Teil des größten Landes des Reiches werde Deutsch-Oberschlesien gegen eventuelle weitere polnische Gebietsansprüchen besser gewappnet sein.
Text: Dawid Smolorz