Auf einem Breslauer Friedhof wurde der Grabstein von Alice Köllner (1882-1921) gefunden
Ihre Biografie und ihr Nachlass werfen noch viele Fragen auf.
Die Initiative Spod ziemi patrzy Breslau (Breslau schaut aus der Erde hervor) um Dr. Alan Weiss verschreibt sich der Pflege der Grabsteine aus der Vorkriegszeit, die nach 1945 im Zuge von Auflösung und Planierung der alten deutschen Friedhöfe geschändet, verstreut oder anderweitig benutzt wurden. Ein anderer wichtiger Teil der Arbeit ist die Recherche nach den Menschen, deren Namen und Lebensdaten auf den Grabsteinen stehen, und eine Rekonstruktion ihrer Biografien. In den letzten Wochen und Monaten war ein Teil des Friedhofs in Krietern (Krzyki) der Schauplatz der Tätigkeit von Alan Weiss und seinen Mitstreitern. Unter den rund 50 geborgenen Grabsteinen, die demnächst in Form eines Lapidariums eine würdige Präsentation bekommen, wurde auch die Grabplatte der Malerin Alice Köllner gefunden.
Von Landsberg an der Warthe über Breslau nach Beuthen
Alice Sofie Emilie Köllner wurde am 3. April 1882 in Landsberg an der Warthe (heute Gorzów Wielkopolski) geboren. Ihre Eltern, der Kaufmann Adolf Köllner und Emilie, geb. Gesche, hatten ein Jahr zuvor, am 8. März 1881, geheiratet. Sie waren beide evangelisch. Die Köllners und die kleine Alice wohnten zunächst in Landsberg in der Richtstraße 11 (heute ul. Sikorskiego) und zogen dann in ein Mietshaus in derselben Straße, aber in der Nummer 13. Bereits an dieser zweiten Adresse wurde am 11. November 1885 Alices Schwester Erna Adolphine geboren, die jedoch nach vier Tagen starb.
Um die Jahrhundertwende ziehen die Köllners nach Breslau. Sie sind in der Neuen Junkernstr. (Kilińskiego) 1 und dann in der Matthiastr. (Jedności Narodowej) 77-78 registriert. Alice hat möglicherweise die Breslauer Kunstakademie absolviert, da bereits 1907 im Steuerbuch als Beruf „Malerin“ eingetragen wurde. Einige Jahre später ist sie jedoch bereits in Beuthen (Bytom) in der Kaiserstr. 6 (Piastów Bytomskich) gemeldet. Ihre Anzeige erscheint in der Lokalzeitung von Tarnowitz (Tarnowskie Góry), in der Alice Mal- und Zeichenunterricht anbietet.
Alice Köllner wird auch im Führer zur „Breslauer Oktoberschau“ vom Oktober 1919 erwähnt. Die Ausstellung „Arbeit und Kultur in Oberschlesien“ sowie Vorträge, Konzerte, Reden oberschlesischer Dichter und Komponisten fanden im Ausstellungsgebäude neben der Jahrhunderthalle statt, während in der Halle selbst große Vokal-, Instrumental- und Orgelkonzerte sowie Filmvorführungen stattfanden. Bereits in der Einleitung des oben erwähnten Führers wird die multikulturelle Dimension Oberschlesiens hervorgehoben, wobei slawische und polnische Traditionen mehrfach Erwähnung finden. Unter den Malern, die Figuren in Volkstrachten darstellen, wird Alice Köllner erwähnt. Vielleicht war in dieser Ausstellung auch das einzige Gemälde zu sehen, das bisher online gefunden werden konnte. Das Werk ist auf 1919 datiert und trägt den Titel „Oberschlesische Bäuerin in Volkstracht“. Weitere Arbeiten werden aktuell gesucht – wer hier Informationen liefern könnte, den bitten wir um Kontakt mit der Redaktion von SILESIA News unter abormann@schlesisches-museum.de.
Letzte Ruhestätte in Breslau
Alice starb am 5. September 1921 in Breslau. Sie war 39 Jahre alt. Aus dem von ihrer Mutter veröffentlichten Nachruf geht hervor, dass sie nach kurzem, aber qualvollem Leiden im Haus Siebenmorgen (Schatzkammerstraße) 67-68 starb. Ihre Mutter unterschrieb als Witwe, Alices Vater war also schon früher gestorben. Die Beerdigung der Malerin fand am Freitag, dem 9. September, um 14 Uhr auf dem Dorffriedhof in Krietern (das erst 1928 nach Breslau eingemeindet wurde) statt.
In den 1970er Jahren wurde der Grabstein von Alice Köllner zusammen mit vielen anderen Gräbern mit schwerem Gerät in den hinteren Teil des Friedhofs geschoben und dann mit Erde bedeckt. Ende Oktober 2024 wurde er zusammen mit etwa 50 anderen ausgegraben.
Kurze Geschichte des Friedhofs in Krietern
Das 49 Hektar große Grundstück in der Breslauer Str. 47-49 (ab 1929 Trentinstr. und ab 1945 ul. Krzycka) für einen Friedhof, genannt Evangelischer Gemeindefriedhof Krietern, wurde 1878 von den Bewohnern der Dörfer Krietern (Krzyki) und Hartlieb (Partynice) erworben. Die ältesten Stelen, die von dieser Nekropole gefunden wurden, stammen jedoch vom Anfang des 20. Jahrhunderts (1906, 1908 und 1909). Ab etwa 1915 wurde das Gräberfeld auch von der Pfarrei Salvator und Johannes genutzt, aber die Nekropole wurde bis zuletzt als Gemeindefriedhof geführt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Flächen der konfessionellen und deutschen Friedhöfe gemäß dem Dekret über aufgegebenes und ehemals deutsches Vermögen von 1946 in den Besitz des polnischen Staates über, aber die nach 1945 neu errichteten polnischen Kirchengemeinden durften sie nutzen. Dies galt auch für den evangelischen Kommunalfriedhof in Krzyki, den die katholische Gemeinde der Heiligen Dreifaltigkeit zu nutzen begann. Allerdings wurden hier nur bis 1958 Beerdigungen abgehalten, dann wurde der Friedhof aus hygienischen Gründen geschlossen, da nebenan eine Wohnsiedlung gebaut wurde.
Dies ist der wohl einzige bekannte Fall eines deutschen Friedhofs in Breslau, der geschlossen und nicht nachträglich liquidiert wurde. Immerhin stammen die ersten Beschlüsse des Nationalrats der Stadt Wrocław, die weitere Nekropolen zur Liquidierung auswiesen, aus dem Jahr 1957. In den folgenden 11 Jahren wurden insgesamt 44 Friedhöfe aus verschiedenen Gründen per Dekret für überflüssig erklärt und bis in die 1980er Jahre in Parks, öffentliche Plätze oder Bauland umgewandelt. Die Stilllegung bestand jedoch darin, dass ein Teil des Steinmaterials entfernt und das Gelände eingeebnet wurde, ohne dass eine Exhumierung stattfand.
Der Friedhof von Krzyki wurde jedoch nicht aufgelöst. Ende der 1960er oder Anfang der 1970er Jahre wurde allerdings eine Seite des Friedhofs durch schweres Gerät zerstört. Deutsche, aber auch polnische Grabsteine wurden in den bis dahin ungenutzten hinteren Teil der Nekropole geschoben. In den folgenden Jahren wurden sie mit Erde überdeckt. Auf diesem Haufen wuchsen Bäume und Sträucher. Dieser Teil wurde von den Anwohnern auch als Mülldeponie für verschiedene Arten von Abfällen genutzt.
Im Jahr 1972 wurde das Friedhofsgelände von den kommunistischen Behörden an die Pfarrei Heilige Dreifaltigkeit übergeben, obwohl es immer noch nicht möglich war, dort neue Gräber zu errichten.
Was jetzt passiert
Die von Dr. Alan Weiss geleitete Initiative Spod ziemi patrzy Breslau, die sich mit den Überresten der Breslauer Friedhöfe befasst, nahm sich 2022 des Friedhofs in der Krzycka-Straße an. Sie führte eine Bestandsaufnahme der deutschen Gräber durch und säuberte mit Erlaubnis des Pfarrers den hinteren Teil des Friedhofs, wobei sie Fragmente von Grabsteinen fand, die aus dem Boden ragten. Anschließend wurde nach dem positiven Gutachten des niederschlesischen Landesdenkmalpflegers die Revitalisierung der Grabsteine durchgeführt. In Aktionen und Workshops, den denen mehrere Dutzend Freiwillige teilnahmen, wurden sie gereinigt, aufgerichtet und die Inschriften erneuert. Die Arbeiten wurden unter der Leitung des Steinmetzmeisters Dariusz Dembiński durchgeführt, der sich täglich mit der Erhaltung und Restaurierung niederschlesischer Denkmäler beschäftigt.
Nach Einholung der erforderlichen Genehmigungen von dem Grundstücksverwalter (also der Gemeinde), dem Denkmalpfleger und der Abteilung für Umweltschutz des Gemeindeamtes sowie nach Erhalt der erforderlichen Mittel aus dem EU-Programm wurde im Oktober 2024 mit den Arbeiten im hinteren Teil des Friedhofs begonnen. Mit Hilfe eines Baggers wurden mehr als 50 meist vollständige Stelen und viele andere Grabsteinelemente ausgegraben, unter anderem der Grabstein von der Malerin Alice Köllner.
Eine erste öffentlichkeitswirksame Veranstaltung auf dem Friedhof fand am 9. November 2024 statt: ein historischer Spaziergang verbunden mit einem Allerheiligen-Konzert. Eine Inventarisierung und Gestaltung des Lapidariums ist derzeit im Gange und wird im Frühjahr 2025 beginnen.
Textvorlage: Alan Weiss, Spod ziemi patrzy Breslau
Deutsch von Agnieszka Bormann, Redaktion