Das Duell Kroll-Simonides oder die „zweite oberschlesische Volksabstimmung“ vor 35 Jahren

Auf den Tod des Senators Edmund Osmańczyk im Oktober 1989 folgte eine Ergänzungswahl im Wahlkreis Oppeln (Opole)

Die noch nicht anerkannte deutsche Minderheit nutzte die Wahl, um im politischen Leben Fuß zu fassen.

Im Oktober 1989 starb Edmund Osmańczyk, der nur vier Monate zuvor als Vertreter des Bürgerkomitees „Solidarność“ zum Warschauer Senat gewählt worden war. Die darauffolgende Ergänzungswahl im Wahlkreis Oppeln (Opole) nutzte die immer noch nicht anerkannte deutsche Minderheit, um im politischen Leben Fuß zu fassen. Die Idee, mit einem starken politischen Auftreten die Anerkennung der deutschen Minderheit durch das mittlerweile halbdemokratische Polen indirekt zu erzwingen, stammte von Prof. Józef Mokry. Der Rechtswissenschaftler an der Universität Breslau (Wrocław) und gebürtiger Oberschlesier unterstützte damals nicht nur in rechtlichen Fragen die Aktivisten der quasi „im Untergrund“ tätigen deutschen Minderheit. Nach langen und zum Teil turbulenten Debatten wurde beschlossen, dass das jüngste Mitglied der sog. Gogoliner Gruppe, Henryk Kroll (damals noch offiziell „Król“), als deutscher Kandidat zur Wahl antreten sollte. Obwohl der damals 41-jährige Leiter einer großen Geflügelfarm bis dato keine politische Erfahrung hatte, wirkte er im Wahlkampf sehr überzeugend. Die meisten Wahlveranstaltungen fanden in brechend vollen Sälen statt und wurden zu Manifestationen der deutschen und der regionalen Identität. Für viele deutsche und deutsch gesinnte Oberschlesier, die in den Zeiten der Volksrepublik eine zum Teil brutale Polonisierung hatten über sich ergehen lassen müssen, wurde der Wahlkampf von 1989/1990 zu einer symbolischen Geburtsstunde des neuen demokratischen Polen.

Von den vier Kandidaten hatte außer Kroll die polnische Oberschlesierin, Prof. Dorota Simonides, die besten Chancen. Wie der verstorbene Senator Osmańczyk vertrat sie das Bürgerkomitee „Solidarność“. Den ersten Wahlgang am 4. Februar 1990 gewann der Kandidat der deutschen Minderheit, für den über 84.000 Menschen stimmten. Prof. Simonides erhielt ca. 10.000 Stimmen weniger. Vor der Stichwahl fand eine enorme Mobilisierung der polnischen Wählerschaft statt, weil es für viele Bürger des Landes damals noch unvorstellbar war, dass ein Deutscher im polnischen Senat sitzen könnte. Im zweiten Wahlgang am 18. Februar konnte Kroll sein Ergebnis zwar auf fast 124.500 Stimmen verbessern, er verlor aber dennoch gegen die polnische Kandidatin, die 258.000 Stimmen erhielt.

Wenn das Duell Kroll-Simonides eine „zweite oberschlesische Volksabstimmung“ war, wie die polnische Presse die Ergänzungswahl manchmal bezeichnete, so hat die deutsche Seite das Plebiszit diesmal verloren. Zugleich aber auch gewonnen, denn – wie sich Henryk Kroll viele Jahre später erinnerte – es sei vielmehr darum gegangen, die Stärke der nicht anerkannten Volksgruppe zu manifestieren und zu erfahren, wie hoch die Unterstützung für die Minderheit im Oppelner Teil der Region tatsächlich war.

Kurze Zeit später wurden die regionalen Organisationen der deutschen Minderheit in den Woiwodschaften Oppeln (opolskie), Kattowitz (katowickie), Tschenstochau (częstochowskie) und Bielitz-Biala (bielskie) offiziell anerkannt. Anderthalb Jahre nach der Ergänzungswahl zum Senat fand in Polen die erste völlig demokratische Parlamentswahl nach dem Fall des Kommunismus statt. In den Sejm und Senat zogen damals insgesamt acht Vertreter der deutschen Minderheit ein – unter ihnen auch der frisch gewählte Vorsitzende der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien Henryk Kroll.

In dem im Görlitzer Senfkorn-Verlag herausgegebenen Buch Wir kamen aus dem Nichtsschildert Henryk Kroll ausführlich auch die Hintergründe des Wahlkampfes von 1989/1990.

Text: Dawid Smolorz