Jahrestag der Volksabstimmung in Oberschlesien

Die oberschlesische Volksabstimmung jährte sich kürzlich zum 99. Mal

Die Volksabstimmung in Oberschlesien war eine von mehreren, die nach dem Ersten Weltkrieg infolge der Verträge von Versailles und Saint-Germain durchgeführt wurden.

Die oberschlesische Volksabstimmung jährte sich kürzlich zum 99. Mal. Von der Bedeutung des am Sonntag, den 20. März 1921 durchgeführten Plebiszits für die Einwohner der Region zeugt am besten die hohe Beteiligung. An der Volksabstimmung, bei dem die Oberschlesier gefragt wurden, in welchem Staat sie leben möchten, beteiligten sich knapp 98 Prozent der Wahlberechtigten. 59,7 Prozent von ihnen sprachen sich für den Verbleib bei Deutschland aus, 40,3 Prozent votierten für die Zugehörigkeit zum wiedererstandenen polnischen Staat. Berlin interpretierte das Ergebnis zunächst als seinen großen Sieg und ging davon aus, dass ganz Oberschlesien beim Reich verbleiben würde. Doch der Versailler Vertrag sah eine Teilung der Region vor. Die neue deutsch-polnische Grenze, die ein halbes Jahr später auf dem Papier festgelegt wurde und seit Juni/Juli 1922 mit Schlagbäumen und Grenzpfählen ihre Präsenz manifestierte, entsprach nur im Groben dem Abstimmungsergebnis. Folge einer Grenzziehung, die die Präferenzen der Bevölkerung vollständig berücksichtigt hätte, wäre doch die Entstehung von mehreren Dutzend Enklaven und im Endeffekt wahrscheinlich eine totale Lahmlegung der Wirtschaft und des Verkehrs gewesen. So war die neue Grenze, die endgültig erst nach dem dritten schlesischen Aufstand gezogen wurde, ein Konsens zwischen den italienischen, britischen und französischen Vorschlägen. Immerhin berücksichtigte sie aber das globale Abstimmungsergebnis, denn in dem Polen zugesprochenen Teil lebten ca. 40 Prozent und in dem beim Reich verbliebenen ca. 60 Prozent der Bevölkerung des Abstimmungsgebietes. Der größere Teil des Industriegebiets gehörte nach der Teilung zu Polen.

Die polnische Seite erzielte das beste Ergebnis in den Landkreisen Pless/Pszczyna (74,1%) und Rybnik/Rybnik (65,2%). Der höchste Anteil deutscher Stimmen wurde dagegen in den Landkreisen Leobschütz/Głubczyce (99,6%) und Kreuzburg/Kluczbork (96,0%) verzeichnet. Bis auf zwei Ausnahmen (Alt Berun/Bieruń Stary und Woischnik/Woźniki) ergab das Plebiszit in allen Städten des Abstimmungsgebiets eine deutsche Stimmenmehrheit. Interessanterweise votierten zwischen 25 und 30 Prozent polnischsprachiger Oberschlesier für Deutschland. Wie in einigen anderen Grenzländern wirkte sich auch in Oberschlesien die Muttersprache nicht automatisch auf die nationale Identität aus, zumal sich der in der Region gesprochene Dialekt von der polnischen Hochsprache damals noch stark unterschied und ein nicht geringer Teil der Bevölkerung sich weder als Deutsche noch als Polen, sondern einfach als Oberschlesier fühlte. Das letztere Phänomen ist in der Region übrigens auch heute bekannt.

Die Volksabstimmung in Oberschlesien war eine von mehreren, die nach dem Ersten Weltkrieg  infolge der Verträge von Versailles und Saint-Germain durchgeführt wurden. In ähnlicher Form sprachen sich auch die Einwohner Schleswigs, Ost- und Westpreußens, Kärntens und des westungarischen Ödenburger Landes über die Zukunft ihrer Heimatregionen aus. Nicht stattgefunden hat das ursprünglich geplante Plebiszit im Teschener Schlesien und in Teilen der Zips und der Arwa, auf die sowohl Polen als auch die Tschechoslowakei Anspruch erhoben.

Text: Dawid Smolorz
Bildquelle: Bundesarchiv