Horst Ulbrich ist Rückkehrer aus der Bundesrepublik
Er hat sich für ein Leben in der schlesischen Heimat seiner Eltern entschieden und ist hier sehr aktiv.
Horst Ulbrich hat mit der Unterstützung seiner Kollegen den Deutschen Freundschaftskreis Glatz neu erschaffen und ihm verholfen, einer der aktivsten in ganz Polen zu werden.
Zwischen malerischen Berggipfeln und bedeutenden Pilgerstätten, im Zentrum der niederschlesischen Stadt Glatz steht ein kleines Haus mit großzügigen Schaufenstern, in denen eine bunte Foto-Collage ausliegt. Die Bilder zeigen einen aktiven Verein, daneben ein Deutschland- und ein Polen-Fähnchen. Genau hier befindet sich der Sitz der deutschen Minderheit, der sogenannte Deutsche Freundschaftskreis (DFK).
„Bei uns herrscht Lebendigkeit“, sagt der Vorsitzende Horst Ulbrich und zählt energisch das straffe Wochenprogramm auf: „Wir haben mehrere Deutschkurse, ein Jugendtreffen, Chorproben und Autorenlesungen – die ganze Woche über wird unsere Geschäftsstelle genutzt. Und am Samstag ist der DFK einfach für ein Treffen offen.“ Doch die wohl wichtigste Arbeit des DFKs geht weit darüber hinaus. Mit einem Sozialprogramm unterstützt der Verein Bedürftige des Glatzer Landes. „Egal, ob Polen oder Deutsche, wir kümmern uns um diejenigen, die unsere Hilfe brauchen“, stellt Ulbrich klar. Dass er früher einmal Sozialarbeiter gewesen ist, wird bei dieser Arbeit besonders deutlich. Er steckt in sie einen Großteil der Freizeit, und er tut es gern.
Der DFK unterstützte bisher nicht nur das Krankenhaus in Glatz mit über 180 Pflegebetten. Auch Altenheime, Kinderheime und die Schule für behinderte Kinder konnten von dem Sozialprogramm profitieren. Bei den Zuwendungen handelt es sich um Spenden aus Deutschland, die in enger Zusammenarbeit mit Organisationen wie den Maltesern angeliefert werden. Ganz aktuell hilft der DFK den ukrainischen Kriegsflüchtlingen mit privaten Unterkünften und Verpflegung. „Die Lage wird immer schwieriger, denn Polen ist auf solche Menschenmassen nicht vorbereitet und hofft auf die private Hilfe, um die Menschen nicht auf der Straße übernachten zu lassen“, sagt Ulbrich.
Dieser Einsatz bleibt von der polnischen Mehrheitsbevölkerung nicht unbemerkt, und das bringt dem Verein viel Sympathie ein. Das freut Horst Ulbrich, denn ein guter Kontakt zu der polnischen Bevölkerung ist ihm wichtig. „Alle unsere Projekte planen wir im Einklang mit der polnischen Bevölkerung. Das war schon immer unser Anliegen, denn wir stehen für die Völkerverständigung“, sagt der 74-Jährige.
Völkerverständigung wird auch vereinsintern gelebt. Irena Rodowska (63) ist seit der Gründung des DFK 1993 Mitglied – gemeinsam mit ihrer Schwester und der Mutter. Ihr gefällt besonders die Geselligkeit im Verein und dass so viele Ausflüge unternommen werden. Zu den Treffen bringt sie ihren Ehemann Stanisław (64) mit. Er durfte allerdings erst 1999 ordentliches Mitglied werden, weil er keine deutsche Staatsangehörigkeit hat. Was heute undenkbar und mit den Zielen und Grundsätzen des DFK unvereinbar ist, war früher in der Satzung fest verankert. „Gott sei Dank hat sich das geändert“, sagt Irena Radowska. Auch ihr Mann freut sich darüber. „Die Grenzen verschwimmen und ob wir Polen oder Deutsche sind, spielt keine Rolle. Wir können friedlich zusammenleben. Unsere Vereinstreffen sind dafür das beste Beispiel.“ Seitdem er seine Frau kennt, interessiert sich Stanisław Radowski besonders für die deutsch-polnisch-schlesische Geschichte. „Meine Schwiegermutter hat mir viel darüber erzählt, wie es hier früher war, zu deutschen Zeiten. Vieles habe ich erst durch sie erfahren und durch die Gespräche mit anderen DFK-Mitgliedern.”
Hildegard Zawada ist die Schwiegermutter von Stanisław Radowski. Nach dem Krieg ist ihre Familie dageblieben, weil das Glatzer Land Bergbauregion war und der Vater als Facharbeiter in den Kohlegruben gebraucht wurde. In den 50er Jahren ist für Kinder wie Hildegard Zawada sogar eine deutsche Schule entstanden. Doch die hat Hildegard Zawada nicht mehr besucht, weil sie mit 17 Jahren für die Schule zu alt war. Sie hat rasch die polnische Sprache erlernt und sich mit der neuen Situation arrangiert. „Ich habe einen sehr lieben Polen geheiratet“, schwärmt die 88-Jährige noch heute. Auch die beiden Kinder hat sie in polnischer Sprache erzogen – es war der Weg des geringsten Widerstands. Dass beide Töchter heute trotzdem fließend deutsch sprechen, haben sie der Oma zu verdanken. Ein Umstand, der vielen jungen Schlesiern bekannt vorkommen dürfte. Und obwohl Hildegard Zawada auch heute mit den Töchtern polnisch spricht, beherrscht sie die deutsche Sprache noch immer so gut, wie ein jeder seine Muttersprache.
Olga Kawalec hat dagegen die deutsche Sprache fast komplett verloren. Bei ihr zu Hause wurde nur deutsch gesprochen und sie selbst hat auch deutsch gesprochen. „Aber als meine Eltern gestorben sind“, erzählt sie, habe ich die Sprache vergessen.“ Sie besucht den DFK seit 2002 zusammen mit ihrer Schwester, allein der Klang der deutschen Sprache weckt in ihr viele Erinnerungen. „Ich fühle mich im DFK wie zu Hause“, sagt Olga Kawalec, und eine Träne kullert über die Wange.
Der DFK Glatz hat über 300 Mitglieder und ist einer der aktivsten in ganz Polen. Dabei hätte sich der DFK vor gut zehn Jahren fast aufgelöst. Horst Ulbrich erinnert sich: „Ich bin zum DFK gekommen, weil ich nach deutschen Leuten gesucht habe. Schon in den ersten Jahren war ich Mitglied im DFK, der von älteren Damen geleitet wurde. Von ehemals 580 Mitglieder ist der Verein auf sieben alte Damen geschrumpft. Und im Jahr 2010 wollten sie komplett aufgeben.“
Für Ulbrich war das ein Schock. Er hat sich gemeinsam mit seinen Kollegen Joachim Straube und Heinz-Peter Keuten vorgenommen, den DFK zu retten. „Und das ist auch so geschehen. Wir hatten alle alten Mitglieder angeschrieben, und es kamen gleich 70 Leute wieder zusammen.“ Nachdem der DFK wie Phönix aus der Asche auferstanden war, bildeten die drei Kollegen lange Zeit den Vorstand.
Heute sagt Ulbrich: „Wir haben eine Reaktivierung hingelegt, die ihresgleichen sucht.“ Und das aus gutem Grund, denn sie Startschwierigkeiten waren enorm. Der Verein ist von der Fördermittelvergabe ausgeschlossen worden, weil die drei Vorstandsmitglieder aus der Bundesrepublik stammen. „Ich weiß nicht, ob wir der einzige Verein in Polen sind, bei dem Deutsche, geboren in Deutschland, in die Heimat ihrer Eltern zurückgekommen sind. Aber es hieß am Anfang, wir würden nicht zur deutschen Minderheit gehören, weil wir nicht in Schlesien geboren wurden.“ Am Ende konnte aber ein Notar die Zugehörigkeit bescheinigen. „Und seitdem ist es aufwärts gegangen“, freut sich Ulbrich.
In Glatz hat der DFK-Chef sein ganz privates Glück gefunden. Er hat hier eine Familie gegründet und ist damit zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Mit Ehefrau Renata verbindet ihn nicht nur der unermüdliche Einsatz für den DFK, sondern auch der gemeinsame Sohn. Die Familie lebt heute in dem Elternhaus von Renata Ulbrich in Eckersdorf. Horst und Renata hatten sich 1986 genau hier kennengelernt, als Horst auf einen Kurzbesuch im Glatzer Land unterwegs war – auf den Spuren der Vorfahren. Bald darauf folgte der Antrag, und das Ehepaar lebte zuerst einige Jahre in Deutschland, wo Horst Ulbrich geboren und aufgewachsen ist. Nach der Wende haben sie sich für ein Leben in Schlesien entschieden. „Ich habe mich nicht nur in meine Frau verliebt, sondern auch in die Heimat meiner Eltern“, sagt er. Ulbrichs Vater hatte damals in Eckersdorf (Bożków) eine Werkstatt. Er hat mit Autos gehandelt – den ersten Autos jener Zeit. „In Eckersdorf hatten nur zwei Personen ein Auto: der Graf und mein Vater. Und meine Mutter hat so eine Art Taxi gefahren.“ Dann kam der Krieg und die heile Welt zerbrach. „Mein Vater war in Stalingrad und ist dann in Gefangenschaft geraten. Meine Mutter wurde mit meinen Geschwistern vertrieben. Sie haben sich dann in Deutschland wiedergetroffen. Sie hatten immer diese große Liebe zu ihrer Heimat.“ Die Erzählungen der Eltern haben Ulbrich nachhaltig geprägt. Auf die Frage, wo für ihn die Heimat liege, fällt die Antwort leicht: „Meine Heimat ist Schlesien, da bin ich vollkommen sicher. Ich habe eine schöne Jugend gehabt in Deutschland, aber ich fühle mich hier zu Hause.“
Horst Ulbrich möchte den Chefsessel in Zukunft gerne abgeben. Aber erst vor wenigen Tagen ist er erneut zum Vorsitzenden gewählt worden. „Ich hoffe immer noch inständig auf die Weitergabe der Verantwortung und hatte schon an meinem 70. Geburtstag angekündigt, bei der nächsten Wahl nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Weit gefehlt, nun werde ich halt weitermachen, gebe die Hoffnung auf einen Wechsel an der Spitze aber nicht auf“, kommentierte Horst Ulbrich die Wahlen im März 2022.
Wer mehr über den DFK Glatz erfahren möchte, findet viele Informationen und Fotos auf dem DFK-eigenen Blog: http://blog.grafschaft-glatz.de
Das Sozialprogramm kann man mit einer Spende unterstützen. IBAN: DE02 4945 0120 1112 5511 79, Verwendungszweck: Schlesienhilfe
Text: Marie Baumgarten