24 Jahre lag war er Präsident des Bundes der Vertriebenen
Der Politiker kam im multikulturell geprägten Teschener Schlesien zur Welt.
Der am 5. November 1914 in Teschen/ Cieszyn geborene Herbert Czaja verbrachte seine Jugend im nahen Skotschau/ Skoczów. Die größte Gruppe bildete in der Region eine polnischsprachige Bevölkerung, die sich jedoch zum Teil von der polnischen Gesinnung distanzierte und ihre ethnische Zugehörigkeit nur auf regionaler Ebene definierte. Neben den Deutschen gehörten ferner auch Tschechen und Juden zu dem dortigen Nationalitätenmosaik. Auf diese multiethnische Erfahrung war wohl zurückzuführen, dass der spätere Vertriebenenpolitiker gegenüber anderen Kulturen und Völkern stets Respekt und Akzeptanz aufbrachte. Als Herbert Czaja sechs Jahre alt war, wurden er und seine Familie nach dem Zerfall Österreich-Ungarns und der Teilung des Teschener Schlesien (mehr dazu können Sie hier lesen) zu Bürgern des wiedererstandenen polnischen Staates. Anders als viele seine Landsleute in Polnisch-Oberschlesien ließ sich der in deutschen Minderheitenschulen und an der Krakauer Jagellonen-Universität ausgebildete Czaja in den 1930er Jahren für die Ideen des Nationalsozialismus nicht begeistern. Schon während des Studiums trat er der von Eduard Pant geleiteten „Deutschen Christlichen Volkspartei“ bei, die einen klaren Kurs gegen Hitlers Ideologie verfolgte und deshalb von deutschen politischen Gruppierungen in Polen zunehmend isoliert wurde.
Während des Zweiten Weltkrieges wurden Czajas Heimatstadt Skotschau und das Teschener Schlesien offiziell an das Reich angeschlossen. Als deutscher Bürger musste der studierte Germanist, Historiker und Philosoph seit 1942 Kriegsdienst leisten. 1945 kehrte er zwar nach seiner Freilassung aus der amerikanischen Gefangenschaft nach Oberschlesien zurück, doch als Deutscher, der sich gegen sein Gewissen zum Polentum nicht bekennen wollte, wurde er 1946 vertrieben.
Schon ein Jahr später vertrat er die Vertriebenen im Stadtrat von Stuttgart. 1953 zog er als Repräsentant der CDU in den Bundestag ein und behielt 37 Jahre lang sein Abgeordnetenmandat. Große Verdienste erwarb er sich um die Integration der Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik. Als Parlamentarier setzte er sich aber tatkräftig auch für soziale Belange und – als praktizierender Katholik – nicht zuletzt für den Schutz des ungeborenen Lebens ein.
Kurz nachdem Herbert Czaja 1970 die Funktion des Präsidenten des Bundes der Vertriebenen übernommen hatte, wurde im Rahmen der „Neuen Ostpolitik“ der Warschauer Vertrag unterzeichnet, in dem die Bundesrepublik de facto die Oder-Neiße-Linie als Polens Westgrenze anerkannte. Für Czaja und Millionen deutsche Vertriebene war ein Abkommen, in dem man Menschen nicht erwähnte, die ihre Heimat unter Zwang hatten verlassen müssen, inakzeptabel. Anders als oft behauptet war das politische Ziel des Ostoberschlesiers nicht die Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937. Auf der Grundlage der Nachkriegsbeschlüsse hätten seiner Ansicht nach aber diese Grenzen den Ausgangspunkt für einen Dialog über die Zukunft des geeinten Deutschlands und Europas bilden müssen. Für Czaja war nicht die territoriale Frage am wichtigsten. Vielmehr sah er in einer neuen europäischen Friedensordnung und in föderalen Lösungen die Chance für die Verwirklichung des Heimatrechts der Deutschen aus den Ostprovinzen. Sein Leitsatz lautete: „Es kann nicht so kommen, wie es war, aber auch nicht so bleiben, wie es ist“. Oft als Revanchist bezeichnet, strebte er eine Aussöhnung und Verständigung mit den Polen an, um dem Revanchismus den Boden zu entziehen.
In der Volksrepublik Polen gehörte Herbert Czaja neben Herbert Hupka zu den bekanntesten Deutschen. Allerdings handelte es sich dabei nicht um positives Image. Beide Politiker stellten das Fundament des bis 1989 des konsequent von den Kommunisten lancierten Bildes der angeblich feindlichen, revanchistischen und aggressiven Bundesrepublik dar. Erst nach der Wende konnte die Öffentlichkeit in Polen über die wahren Ziele und Aktivitäten des Politikers erfahren. Sein Bild bleibt dennoch auch in unserer Zeit teilweise entstellt. Vor einigen Jahren postulierte die Organisation der deutschen Minderheit in Oberschlesien die Anbringung einer Gedenktafel an das Haus der Familie Czaja in Skotschau. Die Initiative scheiterte jedoch an der negativen Stellungnahme des Marschalls der Wojewodschaft Schlesien und des Teschener Kreisrates, die den Politiker in erster Linie mit seinem Einspruch gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze in Verbindung brachten.
Bis 1990 saß der Ostoberschlesier im Bundestag, bis 1994 war er Präsident des Bundes der Vertriebenen. Herbert Czaja verstarb am 18. April 1997 im Alter von 82 Jahren in Stuttgart.
Text: Dawid Smolorz