Zweisprachigkeit in Oberschlesien

Seit jeher gilt Oberschlesien als Schmelztiegel von Kulturen und Sprachen

Polnisch, Deutsch, Schlesisch – die Mehrsprachigkeit ist bis heute charakteristisch für die Region. Viele Menschen sind stolz darauf, diese Tradition zu pflegen.

Damian Hutsch und Ehefrau Maria erziehen ihren Sohn zweisprachig. Bruno ist drei und besucht einen deutsch-polnischen Kindergarten in Oppeln/Opole.

„Als er noch im Bauch von Maria war, haben wir vereinbart, dass ich mit ihm nur Deutsch rede. Und Maria Polnisch oder Schlesisch und manchmal auch Deutsch“, sagt Damian.

„Der Anfang war am schwersten. Wir mussten uns erst überwinden“, schiebt Maria nach. „Aber mit der Zeit haben wir viele positive Reaktionen bekommen. Keiner sagt, dass Bruno irgendwie komisch sei. Die meisten sagen uns: Er wird es im Leben leichter haben. Toll, dass ihr das macht.“

Für die Eltern ist die zweisprachige Erziehung eine besondere Herausforderung, denn für keinen von beiden ist Deutsch die Muttersprache. Obwohl beide zur Deutschen Minderheit gehören, wurde zu Hause Schlesisch gesprochen. Auch wenn es jetzt einiges an Mühen kostet, sie selbst profitieren genauso vom zweisprachigen Konzept.

„Am meisten habe ich Deutsch in den letzten drei Jahren gelernt, als Damian anfing, jeden Tag die Sprache zu nutzen. Und viele Wendungen wiederholen sich stetig. Man sieht also, das funktioniert auch bei Erwachsenen. Wenn man eine Sprache jeden Tag anwendet, lernen wir leichter und behalten es besser in Erinnerung.“

Maria und Damian Hutsch erziehen Sohn Bruno zweisprachig.

Zweisprachig erziehen – nicht immer ist das leicht. Der rege Austausch mit anderen Eltern ist deshalb wichtig. Zu sehen: Nicht nur ich stehe vor Herausforderungen im zweisprachigen Alltag, auch anderen geht es so. Und zu erfahren: wie gehen die anderen damit um? Gelegenheit dazu gab es im August beim Treffen der zweisprachigen Familien im oberschlesischen Peiskretscham/Pyskowice.

„Am besten ist es, wenn wir der Sprache so mächtig sind, dass wir sie ohne Probleme weitergeben können. Aber es heißt nicht, dass, wenn wir sie nicht fließend sprechen, wir nicht zweisprachig erziehen können“, sagt Referentin Aneta Lissy-Kluczny.

Das sieht auch Aneta Dutkiewicz so. Die junge Mutter ist heute extra aus dem südpolnischen Krakau angereist. Anders als die meisten Eltern hier, hat sie keine oberschlesische Herkunft und keine deutschen Wurzeln. Aneta spricht mit ihrem Sohn nur Deutsch, wenn sie Lieder singen und Zeichentrickfilme schauen, nicht aber im Alltag.

„Nach der Geburt habe ich beschlossen, ich mache jetzt etwas für mich und wir werden zu Hause Deutsch sprechen. Mein Sohn war da 8 Monate alt. Und es hat geklappt. Das macht mir viel Spaß!“

Auch Damian und Maria sind heute dabei. Die Krakauer Besucherin hat die beiden beeindruckt. Und Seminarleiterin Aneta Lissy-Kluczny bestärkt alle Eltern, den Weg weiterzugehen und gibt noch einige Tipps mit an die Hand. „Wichtig ist es, dass wir den Kindern positive Konnotationen in Bezug auf die Sprache vermitteln. Zum Beispiel: Es gibt jetzt Eis! Oder wer isst jetzt Nachtisch? Oder: Möchte jemand Taschengeld? Und nicht negative Konnotationen, wie: Bring mal bitte den Müll weg! Oder: Putz dein Zimmer! Das zieht nicht.“

Aneta aus Krakau will mit der zweisprachigen Erziehung auch etwas lernen.

Organisiert wird das Familientreffen vom Haus deutsch-polnischen Zusammenarbeit mit Sitz in Gleiwitz und Oppeln. Die Nichtregierungsorganisation unterstützt Zweisprachigkeit sogar mit einer eigenen Kampagne. Dazu gehört, dass interessierte Eltern, aber auch Schulen, über die NGO kostenfrei Lernspiele ausleihen können.

Danuta Cholewa ist Beraterin für Zweisprachigkeit. Sie weiß: Spiele wie Wort-Memory funktionieren auch, wenn die Eltern die Sprache nur wenig beherrschen. Es gibt viele Wege zur Zweisprachigkeit, sagt sie. Ihr Sohn ist vier und spricht Deutsch und Polnisch. „Von Anfang an war für mich klar: Ich will meinen Sohn zweisprachig erziehen. Denn ich wollte meinem Kinde etwas schenken. Und das ist das Geschenk, das gar nichts kostet. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, je spielerischer desto besser.“

20 bis 25 Prozent des Tages sollte die Wunsch-Sprache im Leben des Kindes präsent sein, damit es sie erfolgreich erlernt. Seit dem 1. September wurde an polnischen Schulen der herkunftssprachliche Deutschunterricht von drei Stunden auf eine Stunde in der Woche gekürzt. Damit müssen ab jetzt die Eltern mehr von dem abfedern, was bisher die Schulen geleistet haben.

Seminarleiterin Aneta Lissy-Kluczny bestärkt die Eltern, den Weg weiter zu gehen.

„Natürlich kann man Deutsch nicht in drei Stunden lernen, aber jetzt ist die Möglichkeit noch kleiner, für alle Kinder, die Deutsch lernen“, sagt Damian Hutsch. Und auch Ehefrau Maria sieht das so. „Das ist ein großer Verlust für die Region, für Polen“, sagt sie. „Denn viele Firmen haben sich hier niedergelassen, viele Menschen können besser verdienen aufgrund der Deutschkenntnisse. Ich selbst habe viele Bekannte, auf die das zutrifft.“

Den dreijährigen Bruno betrifft das noch nicht. Doch was auch immer die Zukunft für ihn bereithält, er wird immer aus zwei Perspektiven, in mindestens zwei Sprachen auf die Welt schauen. Und damit den anderen einen Schritt voraus sein. Weil seine Eltern sich auf das Abenteuer Zweisprachigkeit eingelassen haben.

Text: Marie Baumgarten