Gedenktafel für die Beckmann-Fabrik wurde in Anwesenheit der Nachkommen der Autoproduzenten enthüllt
Weltweit gibt es heute nur ein einziges Auto aus der Breslauer Fabrik – in Norwegen.
Ein wichtiges Stück Automobilgeschichte wurde in Wrocław (Breslau) sichtbar. Im Rahmen der Breslauer “Tage des Dreiecks” (so wird inoffiziell von den Stadteinwohnern die Ohlauer Vorstadt, poln. Przedmieście Oławskie, bezeichnet) wurde am 22. September 2023 eine Gedenktafel für die ehemalige Beckmann-Automobilfabrik enthüllt. In den Jahren 1898–1927 wurden in Breslau Autos hergestellt, die Beckmanns genannt wurden – nach dem Begründer der Firma, Otto Beckmann. Die Beckmann-Wagen waren die ersten und bis heute die einzigen Kraftfahrzeuge, die in Breslau entwickelt und hergestellt wurden.
Es war ein besonderes Ereignis, denn zur Enthüllung der Tafel ist der Ur-Urgroßenkel des Firmengründers Otto Beckmann und der Urenkel des Autoherstellers Paul Beckmann – Christian Börner mit seiner Frau Waltraud Börner gekommen. Zwar wurden die Gebäude und Hallen der ehemaligen Fabrik 2019-2020 abgerissen und durch eine Wohnsiedlung “Nowa Manufaktura” (Neue Manufaktur) ersetzt, aber ein Gebäude, in dem sich Büros der Firma befanden, wurde unter Denkmalschutz gestellt und vor kurzem gründlich renoviert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg diente es den Einwohnern als Wohnhaus, deshalb musste ein kompletter Umbau vorgenommen werden. Bei den Sanierungsarbeiten wurde nach den Putz-Untersuchungen die ursprüngliche Farbe des Gebäudes gefunden – das helle Blau. Das Bürgerhaus hieß ursprünglich “Uranus” – wie der Gott des Himmels. Der Architektin Katarzyna Tabiś vom Architekturbüro AKT ist es gelungen, alle Schmuckelemente und das Aussehen des Hauses vor dem Umbau wiederherzustellen (das Gebäude diente ab 1927 als Opel-Reparaturwerkstatt und wurde deshalb in den 1930er Jahren umgebaut).
Nach dem Sanierungsprozess wurde geplant, eine Gedenktafel an die Fassade anzubringen. Ein guter Anlass dazu bildeten die Tage der Ohlauer Vorstadt. Und so wurde eine ganze Reihe von Veranstaltungen durchgeführt, an der die Familie der ehemaligen Fabrik-Besitzer teilnehmen konnte.
Pfiffige Köpfe aus der Ohlauer Vorstadt
An der Enthüllung der Tafel haben außer den Gästen aus Deutschland und den Vertretern der Stadt und der Ohlauer Vorstadt, viele Breslauer teilgenommen. Christian Börner drückte seine Freude aus, dass dank der Enthüllung der Tafel die Geschichte der Familie und der 29 Jahre lang in Breslau hergestellten Autos nicht vergessen wird. Nach dem Event wurden die Gäste und alle interessierte Breslauer zu den Spaziergängen “Von Beckmann zum Haase – pfiffige Köpfe aus der Ohlauer Vorstadt” eingeladen. Während der von den Stadtführern Jerzy Domowicz und Małgorzata Urlich-Kornacka geführten Spaziergänge wurden folgende große Persönlichkeiten der Ohlauer Vorstadt vorgestellt:
- Otto Beckmann, der am 1. Oktober 1882 in der Klosterstraße 60 (heute ul. Traugutta) die Erste Schlesische Velociped-Fabrik (so wurden damals die Fahrräder genannt) gründete und als Erfinder der ersten Felgenbremse für Gummireifen gilt.
- Sein Sohn Paul Beckmann – der die Produktion der Fahrräder fortsetzte, sich aber letztendlich auf die Herstellung der Automobile konzentrierte, verlegte die Fabrik in die Neue Tauentzienstraße 83 (heutzutage ul. Kościuszki 124).
- Der dritte pfiffige Kopf war Carl Schirdewan, der in der Klosterstrasse 102-104 (heute Traugutta-Str.) eine Kornbrennerei und Likörfabrik gründete und in ganz Deutschland berühmte Liköre: Mondura, Rettib und Kumbucca herstellte. Für Breslau war der “Breslauer Kümmel” charakteristisch, dessen Rezeptur auf Jahr 1762 zurückgeht (heutzutage wird der Likör in der neuen Form im Gastropub Wrocławska angeboten).
- Die letzte Persönlichkeit war Georg Haase, der in der Vorkriegszeit eine der größten Lagerbierbrauereien in Schlesien hatte und sich am Ohlauer Stadtgraben eine repräsentative Villa bauen ließ – in seinem Haus befindet sich heute das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschlands.
Die Teilnehmer konnten sich während der Spaziergänge wenig bekannte Orte anschauen und interessante Geschichten hören, die dank den vielen Artefakten aus der Sammlung des Stadtführers und gebürtigen Einwohners der Ohlauer Vorstadt Jerzy Domowicz bereichert wurden. Die Tour wurde im Garten des Generalkonsulats beendet.
Am nächsten Tag, am 23. September 2023, gab es Möglichkeit, Christian Börner in einem moderierten Gespräch im Oder-Zentrum zu erleben. Der Gast stellte die Geschichte des Familienunternehmens dar und erzählte von seinen Abenteuern, die er 1973 bei seinem ersten Besuch in Breslau miterlebt hat. Seit vielen Jahren führt er eine Familienchronik. Die letzten Seiten sind für ein Ereignis reserviert, das hoffentlich 2024 stattfinden wird: die Teilnahme des letzten Beckmann-Wagens an dem Oldtimer-Treffen MotoClassic Wrocław.
Das einzige noch existierende Exemplar wird zur Zeit in Norwegen renoviert. Der Besitzer – Norweger Rune Aschim bemüht sich seit Jahren, das “Beckmann-Dornröschen” aus dem Schlaf zu wecken und ihm ein neues Leben zu geben. Wenn es klappt, werden die Breslauer eine einmalige Gelegenheit haben, das in Breslau 1911 hergestellte Auto live zu sehen.
“Bis August 2024 werden alle Arbeiten abgeschlossen sein”, versichert Rune Aschim. “Jeden Tag wird das Auto mehr und mehr polnisch. Die Lederpolsterung und das Cabrio wurden von polnischen Fachleuten hergestellt. Auch die vernickelten Teile des Autos wurden in Polen hergestellt”, lacht Rune. Der Transport nach Wrocław wird eine echte Herausforderung: Das Auto ist 5,5 Meter lang, 2,5 Meter hoch (mit heruntergeklapptem Cabrio 2,2 Meter) und wiegt 2 Tonnen. Es wird ein ganz besonderes Ereignis sein!”
Text & Bilder (wenn nicht anders angegeben): Małgorzata Urlich-Kornacka