Lange wurde der deutsche Beitrag zur Entwicklung Oberschlesiens tabuisiert
In den letzten Jahren würdigten mehrere Kommunen verdiente Deutsche mit einem Straßennamen.
Nach langer Tabuisierung des deutschen Beitrags zur Entwicklung Oberschlesiens würdigten in den vergangenen drei Jahrzehnten mehrere Kommunen in der Region verdiente Deutsche mit einem Straßennamen.
Als nach der politischen Wende zweifelhafte Helden der vergangenen Epoche in mehreren Etappen von den Straßenschildern verschwanden, wurden sie meistens von Persönlichkeiten abgelöst, die in den Zeiten der Volksrepublik als Staatsfeinde galten oder aus diversen Gründen für diese unbequem waren. Obwohl man hier keineswegs von einem Massenphänomen sprechen kann, beschlossen nach 1989 mehrere oberschlesische Städte und Gemeinden, auch Menschen aus dem deutschen Kulturkreis mit Straßennamen zu ehren. Einer der häufigsten Namensgeber aus dieser Gruppe ist der aus der Oder-Region gebürtige Dichter und Schriftsteller Josef Freiherr von Eichendorff (geb. 1788). Insgesamt wurde er in Oberschlesien in dieser Form 14-mal gewürdigt, unter anderem in seinem Geburtsort Lubowitz (Łubowice), in Neisse (Nysa), wo er seinen Lebensabend verbrachte, aber auch in Oppeln (Opole), Rosenberg (Olesno) und Ratibor (Racibórz). In Krappitz (Krapkowice) wurde nach dem Autor der Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ ein weitgehend unbebauter Platz am östlichen Oder-Ufer benannt.
In den meisten Fällen haben die deutschen Straßenpatrone einen regionalen oder – noch häufiger – lokalen Bezug. So findet man beispielsweise auf dem Stadtplan von Kattowitz (Katowice) Franz Winckler (geb. 1803) und Friedrich Wilhelm Grundmann (geb. 1804) – die beiden Visionäre, denen der einst kleine Ort an der Rawa seine schnelle Entwicklung und im Endeffekt auch die Stadtwerdung im Jahr 1865 verdankt. Überdies trägt eine Straße in der Innenstadt den Namen der deutsch-amerikanischen Physikerin Maria Goeppert-Mayer, die 1906 in Kattowitz zur Welt kam und 57 Jahre später den Nobelpreis erhielt. „Ihrer“ Nobelpreisträger rühmen sich in ähnlicher Form auch Königshütte (Chorzów), die Geburtsstadt von Kurt Alder (geb. 1902), und Sohrau (Żory), wo der 1888 geborene Otto Stern seine ersten Jahre verbrachte. Namensgeber für Straßen in Königshütte sind zudem der aus dieser Stadt gebürtige Vertreter der Berliner Bildhauerschule Theodor Kalide (geb. 1801), der Berghauptmann Friedrich Wilhelm von Reden (geb. 1752), der oft als Vater der oberschlesischen Industrie bezeichnet wird, und Franz Waxman (ursprünglich Wachsmann, geb. in Königshütte 1906), der sich in den 1930er und 1940er Jahren als Filmkomponist in Hollywood einen Namen machte.
An den Letzteren erinnert auch eine Straße in Kattowitz. Auf Straßenschildern von Neisse finden wir neben Eichendoff auch eine weitere Deutsche, nämlich die 1817 in dieser Stadt geborene selig gesprochene Maria Merkert, die wegen ihres karitativen Engagements oft als „Schlesische Samariterin“ bezeichnet wird. Kurz nach dem Tod Horst Bieneks (geb. 1930), aus dessen Feder die „Gleiwitzer Tetralogie“ stammt, wurde in den frühen 1990er Jahren die Straße am Gleiwitzer Stadtwald nach ihm benannt, an der sein Geburtshaus steht. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang ein deutscher Namensgeber, der mit der jüngsten Geschichte der Region eng verbunden ist. Vor wenigen Jahren erhielt nämlich eine Straße in Gogolin (Gogolin) den Namen Johann Krolls (geb. 1918), des Mitbegründers der deutschen Minderheitenorganisation in Oberschlesien 1989/90.
Eine separate Gruppe von Straßennamengebern bilden deutsch-oberschlesische Adelsgeschlechter, die oft in bedeutendem Maße zur Entwicklung der einzelnen Orte beitrugen. In Ruda (Ruda Śląska) wird mit der „ulica Ballestremów“ an die verdiente Familie von Ballestrem erinnert – die Besitzer des Plawniowitz-Ruda-Biskupitzer Majorats – und in Zabrze (1915–1945 amtlich Hindenburg) an den Großindustriellen Guido Henckel von Donnersmarck (geb. 1830).
Interessanterweise ist aber nicht Josef von Eichendorff, sondern Joseph Elsner der Deutsche, dessen Name am häufigsten (17-mal) auf Straßenschildern in Oberschlesien prangt. Der 1769 in Grottkau (Grodków) geborene Komponist war auch schon vor der Wende ein völlig unumstrittener Namensgeber, weil er den größeren Teil seines Lebens in den polnischen Gebieten verbracht hatte und als Lehrer Frederic Chopins einen festen Platz in der polnischen Kultur hat. Da sein Vorname auf den Straßenschildern in der Regel in der polnischen Variante „Józef” zu sehen ist, vermuten die meisten Polen nicht, dass sich ein schlesischer Deutscher dahinter verbirgt.
Die genannten Beispiele stellen nur eine Auswahl dar und erschöpfen bei Weitem nicht das Thema.
Text: Dawid Smolorz