Zbigniew Rokita zum Veto des polnischen Präsidenten

Andrzej Duda legte Veto gegen die Anerkennung von Oberschlesisch als Regionalsprache ein

Unter den Reaktionen gibt es auch einen Kommentar des oberschlesischen Autors Zbigniew Rokita.

Andrzej Duda legte am 29. Mai sein Veto gegen die vom Sejm verabschiedete Novelle des Minderheitengesetzes ein, die die Anerkennung des Oberschlesischen (genannt “Godka”) als Regionalsprache zum Ziel hatte. Sein Einspruch und vor allem dessen Begründung stoßen in Oberschlesien auf kritische Reaktionen. Unter anderem verfasste der oberschlesische Autor Zbigniew Rokita seinen Kommentar, das am selben Tag in der Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny“ erschien.

Präsident legt sein Veto gegen die Änderung des Gesetzes über nationale und ethnische Minderheiten ein

Zbigniew Rokita, Übersetzung Agnieszka Bormann

Andrzej Duda wünscht sich einen kulturell, ethnisch und sprachlich gleichgeschalteten Staat. Dabei kann die Vielfalt Polen helfen, nicht schaden.

Der Teil der Oberschlesierinnen und Oberschlesien, der sich die Anerkennung des Oberschlesischen als Regionalsprache wünscht (auch in Oberschlesien gibt es keinen Konsens darüber), wird etwa 500 Tage warten müssen. Dann wird das Parlament die Novelle erneut verabschieden und der nächste Präsident wird sie höchstwahrscheinlich befürworten. Die beiden Hauptkandidaten für das Amt bei den kommenden Präsidentschaftswahlen – Szymon Hołownia und Rafał Trzaskowski – haben öffentlich erklärt, dass sie Godka anerkennen werden.

Vieles deutete darauf hin, dass Andrzej Duda sein Veto gegen den Gesetzentwurf einlegen würde. Hoffnung machte die intensive Überzeugungsarbeit von vielen Personen, auch aus präsidentennahen Kreisen. Der Schriftsteller Szczepan Twardoch schickte einen offenen Brief, in dem er Unterschriften von vielen bekannten Persönlichkeiten sammelte: von Olga Tokarczuk über Professor Ryszard Koziołek bis zu Robert Makłowicz. Unter den Unterzeichnern befanden sich auch mehrere Sprachwissenschaftler, darunter die Vorsitzende des Rates für die polnische Sprache, Professor Katarzyna Kłosińska – man könnte meinen, dass sie mit ihrer bejahenden Haltung sprachwissenschaftliche Argumente für ein negatives Urteil aus der Welt schaffen würde. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus.

In seiner Veto-Argumentation erklärt Andrzej Duda, dass unter Sprachwissenschaftlern „die Meinung vorherrscht, dass die schlesischen Mundarten Dialekte der polnischen Sprache darstellen und dass die oberschlesische Mundart ebenso einer von vielen Dialekten der polnischen Sprache ist wie beispielsweise die Dialekte von Kleinpolen, Großpolen und Masowien“. Nun, nein, das stimmt so nicht. Für die Dialekte von Masowien oder Kleinpolen gibt es keine mehrbändigen Wörterbücher, keine kodifizierte Rechtschreibung und keine in sie übersetzte Literatur, und eine halbe Million Menschen geben in der Volkszählung den großpolnischen Dialekt nicht als ihre Haussprache an.

Bücher in Oberschlesisch, u. a. „Der kleine Prinz“, „Alice im Wunderland“ und „Der Hobbit oder Hin und zurück“, Kamil Czaiński, wikimedia commons.

Ein Kuriosum in der Argumentation des Präsidenten stellt jedoch die folgende Passage dar: „Die nicht auszuschließenden hybriden Handlungen, die gegen die Republik Polen im Zusammenhang mit dem jenseits ihrer Ostgrenze andauernden Krieg unternommen werden können, erfordern eine besondere Sorgfalt bei der Bewahrung der nationalen Identität. Die Bewahrung der nationalen Identität wird insbesondere durch die Pflege der Muttersprache gewährleistet“.

Die Organisation „Bewegung für die Autonomie Schlesiens“ (Ruch Autonomii Śląska, RAŚ) antwortete darauf: „Die Bedrohung von außen wird also nicht zum Anstoß zur Achtung der oberschlesischen Identität, die die Oberschlesier stärker an den polnischen Staat binden würde, sondern zum Vorwand für eine kulturelle Vereinheitlichung.“ Und weiter: „Die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr werden also zum Plebiszit in Oberschlesien – für oder gegen unsere Identität.“

Ich persönlich stimme dier letzten These nicht zu, da die oberschlesischsprachigen Menschen in Oberschlesien eine Minderheit sind, und selbst für sie sind viele Themen im Allgemeinen wichtiger als die Achtung der Sprache. Aber ja, eine gewisse Auswirkung auf den Wahlausgang in der Region wird dieses Veto haben.

Einige Leute deuten noch andere Szenarien an. So hat zum Beispiel die Abgeordnete der KO (Koalicja Obywatelska, Bürgerkoalition) Monika Rosa in meinem anderen Artikel über Godka in „Tygodnik Powszechny“ vom März gesagt, was im Falle eines Vetos des Präsidenten passieren wird:
– Dann werden wir nach weiteren Stimmen suchen, um das Veto zu überstimmen.
– Woher wollen Sie die Stimmen nehmen? 
– Da bald Kommunalwahlen anstehen, könnte es sein, dass die PiS keine Parteidisziplin einführt und einige PiS-Abgeordnete unser Projekt unterstützen würden. Auch hier gibt es Befürworter der Godka, erklärt Rosa.

Das ist möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Dennoch werden die nächsten Jahre ohnehin den Oberschlesiern gehören. Das Veto wird ihnen mehr Zeit geben, um Lehrer zu zertifizieren, Schulbücher oder einen Lehrplan auszuarbeiten. Die derzeitige Aufregung um die Godka ist nicht das Ergebnis eines Zufalls, sondern jahrzehntelanger Arbeit. Anstatt die reifen Früchte zu pflücken, werden wir nun warten, bis sie von selbst vom Baum fallen.

Die Vorteile sieht auch Szczepan Twardoch, der nach dem Veto schreibt: „Ich hoffe, dass wir nach den Präsidentschaftswahlen mit dem Projekt zurückkehren werden, und zwar wird es dann nicht nur um die Anerkennung des Oberschlesischen als Regionalsprache gehen, sondern auch um die Anerkennung der ethnischen Minderheit, was vielleicht nicht geschehen würde, wenn Präsident Duda das aktuelle Gesetz unterzeichnet hätte.“

In der Zwischenzeit können die lokalen Behörden mehr Verantwortung übernehmen. Der in Kattowitz (Katowice) lebende Intellektuelle Marcin Musiał schreibt: „Für das kommende Jahr muss man auf die lokalen Selbstverwaltungen zählen. In den letzten Wochen haben wir ein wahres Festival der Erklärungen erlebt, wie sehr die Kommunalverwaltungen Oberschlesisch lieben – fordern wir jetzt von ihnen konkrete Schritte!“.

Der Präsident wünscht sich ein kulturell, ethnisch und sprachlich gleichgeschaltetes Land. Er versteht nicht, dass die Vielfalt Polen hilft und nicht schadet. Und wenn das Polentum unter der Last von etwa zehntausend Kindern, die in den Schulen Godka (Oberschlesisch) lernen, zusammenbrechen würde, dann stellt sich die Frage, wie viel ist dieses Polentum nach Ansicht des Präsidenten wert, und warum schätzt er es so gering ein?

Der Präsident hat die Vision einer offenen, humanistischen und humanitären Republik, die die Schwächeren unterstützt, nicht befürwortet. Heute hat er sich nicht für die Rechte der Oberschlesier eingesetzt, und morgen wird er sich nach ähnlichem Muster vielleicht auch nicht für andere Minderheiten einsetzen.

Zbigniew Rokita. Fot. Arkadiusz Gola.
Zum Autor

Zbigniew Rokita (geb. 1989 in Gleiwitz, lebt in Kattowitz) ist Reporter, Journalist, spezialisiert auf das Thema Oberschlesien und Osteuropa. Sein Buch Kajś. Opowieść o Górnym Śląsku (Kajś. Eine Erzählung über Oberschlesien, 2020) wurde 2021 zweifach mit NIKE, dem wichtigsten polnischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Er ist Autor von weiteren Büchern (u. a. Odrzania), Theaterstücken und publiziert regelmäßig in der Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny“.

Redaktion: Agnieszka Bormann

Unser Dank geht an „Tygodnik Powszechny“ für die Genehmigung zum Abdruck des Textes.