Die Gartenstadt von Kattowitz

Arbeitersiedlung Gieschewald (Giszowiec)

In der kommunistischen Zeit war das Viertel aus mehreren Gründen den Behörden ein Dorn im Auge. Deshalb beschlossen sie, es komplett abzureißen.

Ähnlich wie Nikischschacht (Nikiszowiec) entstand auch Gieschewald – wie der Name schon suggeriert – im Auftrag des Konzerns Georg von Giesches Erben und diente seinen Mitarbeitern.

Postkarte aus Gieschewald (1918-1921). Quelle: Verlag Max Steckel, aus der Sammlung der Schlesischen Digitalen Bibliothek / Śląska Biblioteka Cyfrowa.

Ähnlich wie die erstere Siedlung wurde es auch von den Cousins Emil und Georg Zillmann entworfen. Geografisch sind die beiden Viertel nur wenige Kilometer voneinander entfernt, architektonisch trennen sie dagegen Welten. Während Nikischschacht ein aus Backstein errichtetes Arbeiterviertel ist, wurde Gieschewald nach dem Prinzip der Gartenstadt konzipiert und versinkt bzw. versank buchstäblich im Grünen. Nicht ohne Grund wurde es manchmal als „Bergarbeiterdorf“ bezeichnet. Vorbild für die Architekten waren schließlich oberschlesische Bauernhäuser.

Erhaltener Teil von Giechewald. Quelle: Marek Mróz, Wikimedia Commons.

Nach der Fertigstellung der „Colonie Gieschewald“ zum 200. Unternehmensjubiläum vom Giesche-Konzern im Jahre 1907 lebten dort ca. 5.000 Menschen, fast ohne Ausnahme Konzern-Mitarbeiter und ihre Familien, wobei die Qualität der Wohnung von dem Status innerhalb des Unternehmens abhängig war. Über einen Kleingarten verfügte aber jedes Haus.

Politisch motivierter Abriss

In den Zeiten der Volksrepublik betrachteten die Behörden Gieschewald gleich aus zwei Gründen als unbequemes Erbe. Zum einen widersprach die elegante Siedlung der im Kommunismus lancierten These, dass alle Industriellen geldgierige Ausbeuter der Arbeiterklasse gewesen seien. Zum anderen war dieses architektonische Schmuckstück als beeindruckendes Relikt der deutschen Präsenz in Oberschlesiens der damaligen Verwaltung ein Dorn im Auge.

Abriss der Siedlung in den 1970er Jahren. Quelle: Ewkaa, Wikimedia Commons.

In den 1970er wurde daher mit dem Abriss Gieschewalds begonnen, um – so die offizielle Begründung – Bauland für eine neue Plattenbausiedlung zu gewinnen. Das Viertel wurde in Stanisław-Staszic-Siedlung (Osiedle Stanisława Staszica) umbenannt, da es für die Behörden inakzeptabel war, dass selbst die polnische Variante den Namen „Giesche“ enthielt. Im Jahr 1978, als Zweidrittel Gieschewalds bereits von der Erdoberfläche verschwanden und zwischen den Kleinhäusern zehnstöckige Wohnblocks standen, gelang es dem Denkmalschutz, die Einstellung der Abrissarbeiten zu bewirken. Vor der kompletten Zerstörung rettete die Siedlung aber erst die friedliche Solidarność-Revolution von 1980-1981. Von da an steht das historische Viertel – oder besser gesagt das, was davon übriggeblieben ist – unter Denkmalschutz.

Gischewald –  alte und neue Architektur. Quelle: Marek Mróz, Wikimedia Commons.

Gieschewald in Film und Buch

1979 schilderte der aus dem Kattowitzer Stadtteil Schoppinitz (Szopienice) gebürtige Regisseur Kazimierz Kutz in seinem Film „Die Perlen eines Rosenkranzes“ (Paciorki jednego różańca) den einsamen Kampf eines älteren Einwohners, der aus seinem für den Abriss bestimmten Haus in Gieschewald nicht ausziehen will. Trotz großer Bedenken vonseiten der Zensur kam die Produktion nicht auf den Index.

Im Jahr 2007, hundert Jahre nach der Siedlungsgründung, setzte die Warschauer Journalistin und Schriftstellerein Małgorzata Szejnert mit ihrem Buch „Der schwarze Garten / Czarny ogród“ (deutsche Fassung erschienen 2015) dem alten Gieschewald ein literarisches Denkmal. Im Mittelpunkt des Bandes steht die Geschichte mehrerer Familien aus dem Ort im turbulenten 20. Jahrhundert. Wie Kazimierz Kutz in seiner Rezension schreib, bei „Der schwarze Garten“ handelt es sich um ein beeindruckendes Werk, in dem am Beispiel eines Stadtteiles gleichzeitig die Geschichte Oberschlesiens, Polens und Deutschlands erzählt wird.

Ein Zweifamilienhaus in Gieschewald. Quelle: Christophorus ex Silesia, Wikimedia Commons.

Text: Dawid Smolorz