Oberschlesien in den ersten Kriegstagen

In Oberschlesien begann der Zweite Weltkrieg nicht erst am 1. September 1939

In der durch die deutsch-polnische Staatsgrenze geteilten Region herrschte bereits Wochen zuvor Kriegsatmosphäre.

Schon seit Frühsommer war die Lage angespannt. Seit Mitte August verließen nach und nach die aus dem Landesinneren stammenden Beamten Polnisch-Oberschlesien in Richtung Mittel- und Ostpolen. Auch wurden die traditionellen Pilgerfahrten nach Tschenstochau angesichts der drohenden Kriegsgefahr verkürzt. Vor allem auf deutscher Seite konnte man in dieser Zeit große Truppenbewegungen beobachten. Am 31. August war Oberschlesien Schauplatz von gleich drei deutschen Provokationen, von denen der fingierte Überfall auf den Sender Gleiwitz/Gliwice zu einem weltbekannten Symbol wurde. Weitere, kleinere Aktionen fanden in Pitschen/Byczyna und in Stodoll/Stodoły (damals offiziell Hochlinden) bei Groß Rauden/Rudy statt.

Militärtransport am Bahnhof Neustadt OS/Prudnik. Quelle: Wikimedia Commons, www.bazakolejowa.pl 

Am ersten Kriegstag unternahmen die deutschen Verbände mehrere Vorstöße im Raum Oberschlesien, unter anderem von Rosenberg/Olesno aus in Richtung Lodz/Łódź und im Süden auf Rybnik/Rybnik und Pless/Pszczyna. In dem ca. 40 km von Rosenberg, aber schon auf der polnischen Seite der Grenze gelegenen Mokra fand die erste Bodenschlacht des Zweiten Weltkrieges statt, bei der ca. 1.500 deutsche und polnische Soldaten fielen. Zu schweren Kämpfen kam es auch östlich von Nikolai/Mikołów, wo die polnischen Truppen erst dann zurückwichen, als ihnen Einkesselungsgefahr drohte.

Am 2. September kam zur Schlacht bei Pless/Pszczyna. Der deutsche Sieg öffnete der Wehrmacht den Weg zur Weichsel und zwang die im Industriegebiet stationierten polnischen Verbände angesichts der deutschen Erfolge im nördlichen Oberschlesien und im Tschenstochauer Land zu einem Rückzug. Das Industriegebiet wurde nicht direkt angegriffen, weil die ostoberschlesischen Berg- und Hüttenwerke möglichst verschont bleiben sollten. Dennoch kam es auch in der Gegend um Kattowitz/Katowice zu Kämpfen. Vielerorts griffen die meistens aus einheimischen Volksdeutschen rekrutierten Freikorps kleinere Einheiten der polnischen Armee an. Nach dem Rückzug der regulären polnischen Truppen aus Kattowitz und Umgebung, der am 2./3. September stattfand, leisteten schlecht bewaffnete Gruppen von ehemaligen schlesischen Aufständischen und Pfadfindern den einmarschierenden Deutschen Widerstand, der allerdings meistens ohne größere Probleme gebrochen wurde. Oft wussten die Verteidiger nicht, dass die reguläre polnische Armee die Region bereits verlassen hatte und waren sich deshalb ihrer hoffnungslosen Situation nicht bewusst.

Einmarsch deutscher Truppen in Bielitz/Bielsko am 3. September 1939. Quelle: Wikimedia Commons . 

In mehreren Städten Polnisch-Oberschlesiens, das sich seit dem 4. September vollständig unter deutscher Kontrolle befand, wurden die Einheiten der Wehrmacht von jubelnden Mengen begrüßt. Die Freude der einheimischen deutschen und deutsch gesinnten Bevölkerung war meistens authentisch. Bald verwandelte sie sich allerdings in Enttäuschung, denn die nationalsozialistische Verwaltung begann umgehend mit der Umsetzung ihrer rassistischen Politik.

Die Tragik der Einwohner Oberschlesiens bestand in diesen Tagen überdies auch darin, dass sie vom ersten Kriegstag an gezwungen wurden, als deutsche oder als polnische Staatsangehörige auf unterschiedlichen Seiten der Front zu kämpfen. Angesichts der Tatsache, dass fast jede Familie Verwandte oder Bekannte in dem aus der jeweiligen Perspektive „ausländischen“ Teil der Region hatte, war der Zweite Weltkrieg für die Oberschlesier nicht nur im übertragenen Sinne ein Bruderkampf. Bis zum letzten Tag des Konflikts wurden sie ja als deutsche Soldaten und als Angehörige der Streitkräfte der polnischen Exilregierung an vielen Fronten eingesetzt. Ein dramatisches Symbol ist das italienische Monte Cassino, wo 1944 eine der längsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges stattfand. Dort ruhen nämlich Soldaten aus Oberschlesien sowohl auf dem deutschen als auch auf polnischen Militärfriedhof.

Deutscher Befehlspanzer während der Kämpfe in Polen. Quelle: Wikimedia Commons,  Bundesarchiv_Bild_101I-318-0083-29.

Text: Dawid Smolorz