Vor 30 Jahren verließen die letzten sowjetischen Soldaten Schlesien
An etwa 60 Orten Nachkriegspolens waren sowjetische Truppen stationiert. Mehr als die Hälfte von ihnen lag in Schlesien.
An etwa 60 polnischen Orten waren in den Zeiten der Volksrepublik sowjetische Truppen stationiert. Mehr als die Hälfte von ihnen lag in Schlesien. Für die Polen, die sich nach der Westverschiebung ihres Landes 1945 in den früheren deutschen Ostprovinzen niederließen, stellten die Soldaten mit den roten Sternen an ihren Mützen mehrere Jahrzehnte lang beinahe ein Element der Landschaft dar. Vor allem in Niederschlesien wimmelte es buchstäblich von sowjetischen Garnisonen und Stützpunkten. Für drei Generationen der dortigen Einwohner waren deshalb Begegnungen mit den langen Kolonnen von Militärfahrzeugen und der ohrenbetäubende Lärm startender oder landender Flugzeuge eine tägliche Erfahrung. Stärker als in anderen Regionen spürte man in Niederschlesien, dass Polen nur ein scheinbar unabhängiges, in Wirklichkeit von Moskau aus regiertes Land war. Wohl für niemanden war es ein Geheimnis, dass die Truppen aus dem Osten nicht nur im Falle eines Krieges gegen das Nato-Bündnis eingesetzt worden wären, sondern auch dann, wenn die Polen ihren Wunsch nach staatlicher Souveränität zu stark manifestiert hätten.
In den bewegten Monaten zwischen August 1980 und Dezember 1981, in denen nach der Gründung der Gewerkschaft „Solidarność“ Demokratisierungsprozesse einsetzten, fragten sich viele Menschen, ob die Russen in den Kasernen bleiben oder auf ihre Art „für Ruhe und Ordnung“ sorgen würden. Letzten Endes zerschlug aber General Jaruzelski auf Druck des Kremls mit polnischen Händen die friedliche Revolution. Das Thema der sowjetischen Verbände blieb in der gesamten kommunistischen Zeit ein Tabu. Wer allzu neugierig war, riskierte, als Staatsfeind rechtliche Konsequenzen tragen zu müssen.
Die Liste russischer Stützpunkte in Schlesien war lang. An ihrer Spitze stand freilich Liegnitz (Legnica), wo sich das Oberkommando der Nordgruppe der sowjetischen Streitkräfte befand. Aus diesem Grund prägte man für die einstige Residenzstadt der schlesischen Herzöge den Namen „Klein Moskau“. Zahlenmäßig starke sowjetische Einheiten waren zudem unter anderem in Breslau (Wrocław), Sagan (Żagań), Schweidnitz (Świdnica), Kreibau (Krzywa), Neuhammer am Queis (Świętoszów) und Brieg (Brzeg) stationiert. Vor den Toren der letzteren Stadt befand sich überdies ein Militärflugplatz, der innerhalb des Warschauer Paktes eine große Bedeutung hatte (mehr zu diesem Thema erfahren Sie hier). Bei Primkenau (Przemków), etwa 50 km westlich von Liegnitz, hatte die Nordgruppe wiederum den größten ihrer Luftwaffenübungsplätze und in Pstransse (Pstrąże) bei Bunzlau (Bolesławiec) entstand eine stadtähnliche sowjetische Siedlung, in deren Nähe sich ein Atomwaffenlager befand.
In allen Städten, in denen sowjetische Garnisonen existierten, besaßen die „ungebetenen Gäste“ ihre eigenen Viertel, zu denen polnische Bürger in der Regel keinen Zutritt hatten. In gewissem Sinne gab es in Liegnitz, Brieg, Schweidnitz und einigen weiteren schlesischen Städten damals parallel eine polnische und eine sowjetische Welt. Dennoch wurden Bekanntschaften geschlossen, die für beide Seiten von Nutzen waren. Der illegale Handel zwischen sowjetischen Offizieren und polnischen Zivilisten florierte vor allem in den 1980er Jahren.
Nach der politischen Wende von 1989 wurde in Polen immer häufiger über den Abzug der sowjetischen Soldaten diskutiert. Doch die UdSSR verhielt sich zunächst recht zögerlich. Erst nachdem die Warschauer Regierung Anfang 1991 den in den neuen deutschen Bundesländern noch stationierten russischen Truppen den Transit verwehrt hatte, nahm Moskau sachliche Verhandlungen auf. Die letzten Soldaten der mittlerweile nicht mehr existierenden Sowjetunion verließen Schlesien und Polen im Jahr 1993.
Text: Dawid Smolorz